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Wenn ChatGPT nervt – und das genau richtig ist

ChatGPT nervt. Und das ist gut so.

Es ist Dienstagmorgen, 9:23 Uhr. Ich sitze vor meinem Laptop, der Kaffee dampft noch, und ich brauche einen Newsletter-Text für einen Kunden. Deadline: heute. Kein Problem, denke ich, dafür habe ich ja ChatGPT.

Also schnell ein Prompt. Die Antwort: „In der heutigen digitalen Welt ist Marketing wichtiger denn je.“ Ich schmunzle. Okay, neuer Versuch.

„Schreibe den Newsletter ohne Floskeln und Phrasen, mit einem konkreten Einstieg.“ Neues Ergebnis: „Im Zeitalter der Digitalisierung stehen Unternehmen vor neuen Herausforderungen.“ Nach zehn Minuten und sieben Prompts war ich kurz davor, den Laptop zuzuklappen. Mein Schmunzeln wird zum nervösen Lachen.

Die KI drehte sich im Kreis, egal, was ich schrieb. Dumme Phrasen über dumme Phrasen. Trotz entsprechender Prompts.

Und dann passiert etwas Interessantes. Während ich diese belanglosen, austauschbaren Sätze lese, während mich diese KI-Plattitüden zur Weißglut treiben, sprudeln in meinem Kopf plötzlich die Ideen.

Ich weiß auf einmal genau, wie der Newsletter NICHT klingen soll. Und dadurch – das ist das Verrückte – weiß ich plötzlich glasklar, wie er klingen MUSS.

Ich klappe ChatGPT zu und schreibe. In überschaubarer Zeit ist der Newsletter fertig. Er ist persönlich, er ist konkret, er hat eine Seele. All das, was die KI nicht hinbekommen hat.

Wenn KI-Langeweile zu Kreativität führt

Diese Momente haben mir etwas klar gemacht: Künstliche Intelligenz nimmt mir keine Arbeit weg. Sie macht mich kreativer. Früher starrte ich auf leere Dokumente und wartete auf Inspiration. Heute rege ich mich über belanglose KI-Texte auf – und merke dabei, dass ich längst weiß, worauf es ankommt.

KI ist für mich kein Ersatz, sondern ein Sparringspartner. Sie gibt mir etwas, wogegen ich rebellieren kann. Sie liefert mir den kreativen Widerstand, den ich brauche. Es ist wie beim Tennis: Ohne Gegner kannst du nicht spielen. ChatGPT ist mein Ballwand-Partner, der mir hilft, mein eigenes Spiel zu finden.

Warum Sprachmodelle (noch) dumm sind

Lass uns ehrlich sein: Aktuelle KI-Modelle verstehen nicht wirklich, was sie schreiben. Sie erkennen Muster, kombinieren Wahrscheinlichkeiten, produzieren statistisch plausible Texte. Aber sie haben kein Gefühl für Kontext, keine Intuition für Timing, kein Gespür für Zwischentöne.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Letzte Woche sollte ChatGPT eine Buchrezension überarbeiten. Die KI beharrte steif und fest darauf, dass das Buch von einem anderen Autor geschrieben wurde. Egal, wie oft ich korrigierte – in jedem neuen Absatz tauchte der falsche Name wieder auf. Die KI hatte sich festgebissen und kam aus ihrer Schleife nicht mehr raus.

Oder die Sache mit saisonalen Texten: Sobald es November wird, fängt jeder zweite KI-Text mit „Die Weihnachtszeit steht vor der Tür“ an. Im Januar dann: „Das neue Jahr ist die perfekte Zeit für gute Vorsätze.“ Die KI kann nicht anders. Sie ist gefangen in den Mustern, die sie gelernt hat.

Was in unserer Agentur funktioniert

In unserer Agentur arbeiten wir längst hybrid. KI hilft uns, schneller zu strukturieren, zu sortieren, zu priorisieren. Aber die Persönlichkeit, der Ton, das Gefühl für Timing und Sprache – das bleibt menschlich.

Ich nutze drei einfache Prinzipien:

  1. KI liefert Struktur
    Gliederungen und Grundgerüste kann sie. Die verfeinere ich dann.
  2. KI sammelt Standardinfos
    Definitionen, Faktenlisten, Basiswissen – das kann sie abrufen.
  3. KI übernimmt Fleißarbeit
    Meta-Descriptions, Varianten von Headlines, Zusammenfassungen.

Aber der Kern meiner Arbeit – das Verstehen, Bewerten, Einordnen, das Finden der richtigen Tonalität, das Spüren, was die Zielgruppe wirklich braucht – das bleibt bei mir.

Warum KI mir Zeit spart – aber anders als gedacht

KI spart mir rund 20 Prozent Arbeitszeit. Nicht 50 Prozent, nicht 80 Prozent. Zwanzig.

Nicht, weil sie perfekte Texte liefert, sondern weil sie mich zwingt, klarer zu denken. Ihr Unvermögen triggert mein Können. Sie beschleunigt die Phase zwischen „keine Idee“ und „gute Idee“.

Die Zukunft unserer Agentur

Panik in den Gesichtern von Agentur-Chef:innen und Verleger:innen, wenn es um KI geht.

Auch ich hatte vor einem Jahr große Sorgen. Wirklich. Ich dachte: Wenn KI immer besser wird, wer braucht dann noch Agenturen wie unsere? Wer bezahlt noch für Texte, für Content, für Kommunikationskonzepte?

Ich sehe die Entwicklung gelassen. Mehr als das: Ich bin optimistisch. Sprachmodelle sind beeindruckend, aber sie verstehen nichts. Sie fühlen nicht, sie bewerten nicht. Unsere Kundinnen und Kunden brauchen Kommunikation, die berührt – keine Sätze, die klingen wie aus der Maschinenhalle.

Genau hier liegt unsere Aufgabe: aus KI-Brei echte Sprache zu machen. Worte, die Haltung zeigen. Ideen, die zünden.

Künstliche Intelligenz wird unser Handwerk verändern, aber nicht ersetzen. Sie ist das beste Werkzeug, um herauszufinden, was man wirklich sagen will. Und manchmal beginnt der beste Text mit einem genervten Lachen über einen schlechten KI-Satz.

Autor: Ertay Hayit

Ertay Hayit studierte Kommunikationswissenschaften. Er ist Journalist, Verleger und Geschäftsführer einer Werbeagentur und PR-Agentur in Köln. Mehrere hundert Sach- und Ratgeberbücher hat er als Herausgeber oder Verleger betreut. Ungezählt seine Artikel und Beiträge für Zeitschriften oder in den letzten 20 Jahren für Webmagazine. Als Chefredakteur und Verleger betreut er unter anderem diverse Internet-Magazine.

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